Paganinis geheime Methode Teil 2/2
Ein Blog von Paganini-Experte und Solist Mario Hossen
Damit wir (aus heutiger Sicht) die wahre Essenz der revolutionären Methode von Paganinis Art zu spielen, verstehen, sollten wir einen genaueren Blick darauf werfen... also, los geht’s!
Im ersten Teil von „DIE GEHEIME METHODE VON NICCOLO PAGANINI“, ging es um die „Variazioni sul Barucaba“ - eine „Studie für die Geige“ (Paganini) mit nur „einer geringen Seitenanzahl“ (Paganini). Dieses Werk war eine der letzten Kompositionen Paganinis und zählte zu den bedeutendsten, wohl gehüteten Geheimnissen seines Violinspiels. Dank dieser Übungen in Variationsform in fast allen Haupttonleitern des Quintenzirkels ist diese Komposition eine sehr nützliche Vorbereitung auf die höchst anspruchsvollen Capricci und sonstigen virtuosen Kompositionen und Concertos von Paganini.
LINKE HAND
Wir müssen einen kurzen Blick auf die Geschichte der Violinmethoden vor Paganinis Zeit werfen. Bis Paganini waren die praktischen Schulen und Methoden hauptsächlich auf die Bemühungen der Lehrer gerichtet, ihren Schülern bestimmte Gewohnheiten anzutrainieren, insbesondere in Hinblick auf die Lagen der linken Hand, z. B. J. Dupont, „Principles de Violon par demandes et réponses“, Paris (1718); L. Mozart, „Versuch einer gründlichen Violinschule“, Augsburg (1756); G. Tartini, „Lettera del Defonto Signor Giuseppe Tartini alla Signora Maddalena Lombardini, Inserviente ad una importante Lezione per I Suonatori di Violino“, London (1771); P. Gaviniès, „24 Matinées, études caprices pour le violon“, Paris (1794); R. Kreutzer, „42 Études ou caprices“, Paris (1796); P. Rode, „24 Caprices for Solo Violin“, Op.22, Paris (1822).
Paganini schuf eine komplett neue Welt – der akademische Violinkreise, die den traditionellen Status quo aufrechterhalten wollten, allerdings lange Zeit keinerlei Beachtung schenkten. „Paganini sprengte die Grenzen der Gewohnheit sowie alle traditionellen Regeln.“ (Carl Guhr) Wie wir alle wissen, gehen Fingersätze auf der Violine auf das Spielen in Tetrachord-Lagen zurück – eine Quarte zwischen dem ersten und dem vierten Finger. Die Standard-Violinmethode bedient sich der „Quartenaufstellung der Finger“.
Paganini bat seinen Schüler (den sechsjährigen Camillo Sivori) von der ersten Stunde an, "... seine linke Hand in der dritten Lage gegen die Zargen der Violine" zu positionieren.
- Paganini hielt die Violine zwischen dem Daumen und dem ersten Finger am Geigenhals.
- Er trug die Geige mit der Schulter und der linken Hand (er bediente sich weder eines Kinnhalters noch einer Schulterstütze).
Durch die Verwendung des Daumens, um die Geige zu halten, haben die Finger am Griffbrett vollkommene Freiheit, decken mehr Fläche ab, können für Streckungen, Glissandos mit demselben Finger verwendet werden ... ohne permanente Lagenwechsel…
Paganini ist der Begründer des Oktaven-Fingersatzes auf der Violine. In seiner dritten Caprice verwendete er sogar Oktaven und Unisono.
DOPPELGRIFFTRILLER
Bei der traditionellen Spielweise war der erste Finger ursprünglich auf dem Griffbrett platziert und der vierte wurde ausgestreckt (vor Paganini), um eine größere Extension zu erzeugen. Im Gegensatz dazu platzierte Paganini zunächst den vierten Finger auf dem Griffbrett und spielte durch Strecken des ersten Fingers Oktaven- und Dezimen-Fingersätze.
PAGANINIS CHROMATISCHE TONLEITER
In Breslau schrieb Paganini die „Scala di Paganini“. Laut Philippe Borer „hatte diese Tonleiter eindeutig eine besondere Bedeutung für den glorreichen Violinisten, da er seinen Namen damit in Verbindung bringen wollte“. Im Sinne von Paganinis einwandfreiem musikalischem Ausdruck und seiner Chromatik und abgestimmt auf die damalige Tradition sollten wir folgende Aussage von Paganini stets im Hinterkopf behalten: „Derjenige, der aus meinem Geheimnis Nutzen ziehen will, muss Intellekt besitzen“. In allen antiken Mythen wurden Streichinstrumente als geheime Symbole für den menschlichen Körper angesehen: der Instrumentenkörper stellte die physische Erscheinung, die Saiten - die Nerven und der Musiker - die Seele“ dar. Durch das Spiel auf den Nerven(Saiten) schuf die Seele(Musiker) im Sinne des Universums, die Harmonien(Schöpfungsklang). Das entspricht der pythagoräischen Sphärenharmonie. Die Musica instrumentalis (real klingende Vokal und Instrumental Musik), Musica humana (Harmonie des menschlichen Mikrokosmos, zwischen Leib und Seele) und Musica mundana (Harmonie des Makrokosmos, Welt-/Sphärenharmonie, Bewegung des Weltalls) haben als gemeinsame Grundlage die musikalisch-harmonischen Zahlenproprotionen 2:1 (Oktave), 3:2 (Quinte), 4:3 (Quarte) etc.
Paganini entwickelte seine eigene Tonleiter, die sogenannte „Chromatische Tonleiter“.
Diese Tonleiter spielte eine bedeutende Rolle für die Paganini-Methode. Die chromatische Tonleiter besteht aus 12 Tonhöhen, die eine außergewöhnlich ausdrucksstarke Spannung hervorrufen. Die Intervalle zwischen den Noten sind stets Halbtöne. In der gleichstufigen Stimmung mit zwölf Halbtonschritten teilt der „Tritonus“ (diabolus in musica, übermäßige Quarte, verminderte Quinte) die Oktave mit sechs von zwölf Halbtönen genau in die Hälfte. Traditionellerweise war die Verwendung einer vollen chromatischen Tonleiter und des Tritonus stark eingeschränkt. Paganini war der erste bedeutende Komponist der Romantik, der die Chromatik als wichtiges Ausdrucksmittel verwendete (insbesondere den „Tritonus“). Die besonders ausdrucksstarken farbenreichen Tonbeziehungen gehen sowohl auf die italienische Tradition (Tartini, Locatelli, Corelli) als auch auf den antiken pythagoräisch-griechischen Ursprung zurück. Diese chromatische „Atmosphäre“ bildet die Eckpunkte seines musikalischen Ausdrucks und seiner Intonationsmethode.
Die Gestaltung der Musik beruht auf zwei Säulen:
Niccolo Paganini sagte „Suonare parlante“- “Mit Tönen sprechen” (Artikulieren, Sprechen mit dem Bogen) und Giuseppe Tartini meinte „Um gut zu spielen, muss man gut singen“.
Der Begriff „Virtuose“ wurde im frühen 19. Jahrhundert zur Bezeichnung eines „technisch perfekten, brillanten Meisters einer Kunst, besonders der Musik“ verwendet. Heutzutage bezieht sich der Begriff hauptsächlich auf eine herausragende Spieltechnik. Im Bezug auf Paganini hat er jedoch eine breitere Bedeutung. Abgesehen von seiner bemerkenswerten Technik machte er die Violine zu einem Ausdrucksmittel seiner innersten Gefühlswelt und seiner eigenen musikalischen Botschaft. Im Rahmen seiner Auftritte griff Paganini auf die Gesangsprinzipien des italienischen Belcanto zurück:
- Genaueste Kontrolle über die Intensität seines Violintons
- Erkennbarer Unterschied zwischen vollen Tönen und dem „Flautando“ (flötenartige Klangfarbe, als Resultat von “sul tasto“) oder Spielen nahe des Stegs “sul ponticello“ (führt zu dissonanten Oberton-Effekten)
- Portamento, insbesondere auf der G-Saite
- Fallende chromatische Tonleiter mit ein und demselben Finger, inspiriert von den Koloratur-Sängern.
Paganini war in der Lage, seiner Musik auf seinem Instrument mit außergewöhnlicher Ehrlichkeit, stürmischer Leidenschaft und den tiefsten, zartesten Gefühlen, sowohl negativen als auch positiven, Ausdruck zu verleihen. Ohne diese emotionale Komponente kann man seine Musik nicht voll und ganz verstehen. Paganini war Musiker im höchsten Sinne des Wortes und beherrschte sein Instrument auf seine eigene, unvergleichliche Weise. Das Publikum bewunderte seinen Ausdruck, sein überwältigendes, berührendes Spiel und den besonderen esoterischen Einfluss des Klangs und der Intervallcharakteristiken, die auf denselben Gesichtspunkten wie die menschliche Stimme basieren. Er praktizierte eine besondere Tonbildung, bei der die Violine die menschliche Stimme imitiert, das sogenannte „suonare parlante“ („sprechendes Spielen“) – ein typisches Merkmal von Paganinis Auftritten!
Audio: Niccolo PAGANINI: Suonata con Variazioni on the theme Pria che l'impegno from Joseph Weigl's L'amor marinaro M.S. 47
Video: Niccolo Paganini: Le Streghe - The Witches, with the Violin tuned a Semitone higher - as in the original score!
BILDER
1) Paganini picture/ the thumb as a fixed support and balance
2) Fingered Unisono Double Stops Thriller/ stretching the first finger (Caprice No.3)
3) The Mundane monochord with its proportions and intervals
4) Scala di Paganini" containing all the essential tone relation
5) The thumb remains in the third position and the left hand rotates, covering as much space as possible without shifting
6) Descending chromatic scales with Tremolate(Zittern)... techniques, inspired by the italian coloratura singer (Barucaba, Book I/4)
ZURÜCK