Paganinis Kompositionstechnik: Moderne Orchestrierung
Ein Blog von Paganini-Experte und Solist Mario Hossen
Der Name Niccolo Paganini ist untrennbar mit den Begriffen der außergewöhnlichen Virtuosität und Intensität der Violine verbunden. Seine Bühnenpräsenz war derartig legendär, dass die Damen im Publikum während seiner Darbietungen regelmäßig in Ohnmacht fielen. Kein Wunder, dass man bei Paganini an den ‚Teufelsgeiger‘ denken muss. Paganini war jedoch viel mehr als das – er beherrschte nicht nur die Gitarre ebenso gut wie die Violine, sondern komponierte auch einen Oeuvre an umfangreicher und außergewöhnlicher Kammermusik: 250 Kompositionen mit verschiedenen Instrumenten Besetzungen, z. B. Solostücke, Duos und Trios, sowie Quartette für Violine, Gitarre, Viola und Violoncello. Seine Kompositionen für Violine und Orchester stellte er einem größerem Publikum vor, während die für die Violine komponierten Solostücke und Quartette mit Gitarre nur in kleinem Rahmen aufgeführt wurden. Dies sind keinesfalls Stücke, die für einen Solisten mit Begleitung komponiert wurden – im Gegenteil, sie verlangen jedem Instrument das Äußerste ab, sei es die Violine, Gitarre, Viola oder das Violoncello. Im Vergleich zu den frühen Werken aus seiner Zeit in Lucca zwischen 1805 und 1809 durchlief Paganini in seinen späteren Schaffensperioden einen fulminanten Reifungsprozess. So spiegeln etwa die späten Quartette mit Gitarre oder die Sonaten „Centone di Sonate“ ein Höchstmaß an kompositorischer Finesse wider. Diese Kammermusikstücke haben nicht nur technische Virtuosität und Momente großer Leidenschaft zu bieten, sondern auch Passagen, die große Zärtlichkeit, Leid und Freude ausdrücken. Viele Musiker und Komponisten seiner Zeit kannten Paganinis Kompositionen. Sogar der große Rossini – selbst Komponist zahlreicher Opern – seufzte einmal erleichtert auf und meinte, es sei ein Glücksfall für die italienischen Komponisten, dass Paganini keine Opern komponiert habe, denn mit seinem Talent hätte er alle anderen Komponisten in den Schatten gestellt. Robert Schumann zufolge wird die Bezeichnung “Virtuose” den Talent Paganinis als Komponist nicht gerecht.
Hector Berlioz: „Es könnten ganze Bände darüber geschrieben werden, welche neuartigen Effekte, genialen Einfälle, edlen und grandiosen Formen und orchestralen Kombinationen Paganini in seinen Werken geschaffen hat, die vor Paganini unbekannt waren. Seine Orchestrierungen sind brillant und voller Energie.... Oft schafft er es, die große Trommel mit außerordentlicher Raffinesse in seine Tutti zu integrieren.“
Paganinis besondere Art der Orchestrierung
(Die Orchesterbegleitung des Solisten nahm bei ihn eine völlig neue Form an.)
- Paganini setzte auf ein großes Orchester – immer voller Farben für das Orchester Tutti, aber sobald das Violine Solo beginnt, wird das Orchester auf ein paar Streicher und wenige Bläser reduziert.
- Die Orchesterstimmen wurden in “Obligato“- (“Accompagnato“) und “Rinforzato“- (“Tutti“) Stimmen unterteilt. Die heutigen Dirigenten Partituren behandeln das Obligato fälschlicherweise als Tutti.
- Paganini bevorzugte eine moderne Orchestrierung mit bis zu 3 Posaunen, Kontrafagott, Becken und großer Trommel und das bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts!
- Paganini liebte die vier Saiten der Solo-Violine oft einen Halbton über jene des Orchesters zu stimmen.
Das „Journal de Frankfurt“ vom 3. April 1831 schrieb: „....seine Musik erstrahlt in ihrer ursprünglichen Schönheit. Sein Konzert am Karfreitag offenbarte diese Wahrheit auch denjenigen, die nicht viel Erfahrung haben. Er spielte eine Einleitung, die man “religiös“ nennen konnte und die von allen als “himmlisch“ empfunden wurde. Um eine solche Melodie – so zart und ergreifend – zu erschaffen, muss man der Welt entrückt sein und sollte den Gesang der Cherubim gehört haben."
Paganinis Werke mit Skordatur oder „Hyper-Accordatura“
In den Skordatur-Werken werden alle vier Saiten um einen halben Ton höher gestimmt. Bei manchen Werken auf der vierten G-Saite stimmte Paganini sein Instrument bis zu einer großen Terz höher. Dadurch konnten auf der Violine die brillant klingenden Kreuztonarten gespielt werden, während die Orchester-Streichinstrumente in den dunkleren B-Tonarten begleiteten,wodurch sich das Solo vom Orchester deutlicher absetzte. Paganini setzte in seinen Konzertprogrammen auf das Kontrastprinzip und fand damit einen ganz neuen Weg im Violinspiel. Bei der Aufführung seiner eigenen Kompositionen beeindruckte er das Publikum mit seiner enormen emotionalen Präsenz und bezauberte es mit neuartigen Klangfarben, verbunden mit atemberaubender Virtuosität.
Paganini nutzte Skordatur als festen Bestandteil seiner Aufführungen – in jedem seiner Konzerte konnte man ein Werk hören,das er nur auf der G-Saite vortrug. Was die von ihm benützten Saiten anbelangt, so geht aus zeitgenössischen Berichten deutlich hervor, dass er dünnere und längere Saiten spielte, als damals üblich war. Das ermöglichte ein leichteres Umstimmen der Saiten sowie eine bessere Ansprechbarkeit der Saiten in den höchsten Lagen und beim Flageolett Spiel. Die für Paganini typischen gemischten Bravour Läufe mit Bogenstrich und Pizzicato der linken Hand ließen sich damit leichter ausführen. Der „Wundermann auf der G-Saite“ schuf eine Brücke zwischen der Kammermusik (vgl. u. a. seine Kompositionen mit Gitarre) und der dramatischen und faszinierenden Welt der Oper, die einer breiteren Publikums Schicht offenstand. Seine Musik verkörpert Gesang, Melodie und Virtuosität. Mit ihren hohen Anforderungen vermitteln Paganinis Skordatur-Werke jene Inspiration und Energie, die uns zwingen, unseren Instrument seine letzten Möglichkeiten abzuringen. Mit ihren rasch wechselnden,höchst gegensätzlichen Ausführung Techniken beweisen die Skordatur-Werke den außergewöhnlichen Erfindungsreichtum Paganinis bei der instrumentalen Bearbeitung und Variierung italienischer Belcanto-Themen.
Berlioz: soirée de l’orchestre
Kuriosität
„Einmal, als er an Paganinis Hoteltür lauschte, hörte W. Ernst, wie er versuchte, einen Ton tiefer als G zu erzeugen, indem er bei einem extrem langsam geführten Bogen übermäßigen Druck auf die G-Saite ausübte“ (S. 19)
Robert Dolejsi (>Sevcik), „Finger Callisthenics and the Paganini Legend“ in: American String Teacher, Herbst, 1963, S. 17-12
Audio - Niccolo Paganini - short excerpt of Guitar Quartet Op. 4, No. 2, I. Moderato, performed by Paganini Ensemble Wien
Bilder:
1) Neu veröffentlichtes Buch von Danilo Prefuma: "Paganinis Leben, seine Arbeit und life, his works and time" by Dr. Danilo Prefumo
2) Gitarrenpart von Paganini Quartet No.11
3) Neue CD Veröffentlichung: Paganini Complete Quartets, Vol. I
4) Scordatura Saitentest mit Franz Klanner, Director of Engineering & Technology, Thomastik-Infeld
5) Suonata Preghiera: Maestoso, Allegro Molto - wichtiger Unterschied zwischen Accompagnato and Rinforzato Violino Primo Parts
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