Die Geheimnisse von Paganini: Bogenführung und Tempo

Ein Blog von Paganini-Experte und Solist Mario Hossen

 

Historische Aufführungspraxis. Kaum etwas aus dem Bereich der Musik hat derart ideologie-befrachtete und zum Teil verbissene Diskussionen hervorgerufen wie dieser Begriff. Dabei bezeichnet er nichts anderes als den Versuch, musikalische Werke so zum Klingen zu bringen, wie dies gemäß der „Komponisten-Intention“ vorgesehen war, die zu erforschen Methoden der ,Historischen Musikwissenschaft‘ ihren Einsatz erfahren müssen. Paganini entwickelte seine eigene innovative Bogentechnik und kümmerte sich nicht um die Konventionen anderer Schulen. Er studierte die italienische Musik bis ins letzte Detail, nahm bestehende Techniken und entwickelte sie weiter und kombinierte vergessene mit seinen eigenen visionären Konzepten. 

Paganini erzählte seinem Biographen Schottky über Maestro Giacomo Costa (seinen Lehrer) Folgendes: „Mit großer Freude erinnere ich mich an das Anliegen des guten Costa, dem ich nicht viel Freude bereitet habe, denn seine Prinzipien erschienen mir oft unnatürlich, und ich war nicht bereit, seine Methode der Bogenführung zu akzeptieren“. Paganini würdigte den Einfluss von Pietro Locatelli (1695-1764) und behauptete, dass ihm die 24 Capriccios von Locatellis „L'Arte del Violino“, Op.3 (1733) „eine Welt neuer Ideen und Methoden eröffneten, die wegen ihrer übermäßigen Schwierigkeit nie den verdienten Erfolg erzielt hatten“ (Courcy, Geraldine I.C. „Paganini the Genoese“, Bd. I, S. 46). 

Zwei weitere wichtige Geiger, die Einfluss auf Paganini nahmen, sind Antonio Lolli (1725-1802), dessen Sechs Sonaten, Op. 9 (1785), spezifische Passagen nur für die G-Saite, Skordatur und Harmonik enthalten, und August Duranowski (1770-1834), der Paganini in dessen Jugend mit künstlicher Harmonik und Pizzicato der linken Hand inspirierte. Paganini meinte, dass Duranowskis Spiel „ihm die Geheimnisse all dessen enthüllte, was man auf einer Geige tun kann“
(Fetis, François-Joseph. Biographie universelle des musiciens et bibliographie générale de la musique, Bruxelles, Vol III (1836) S. 363) 

Paganini - Bogenstriche und Stricharten 

Der Bogenstrich ist das Mittel zur Erlangung künstlerischer Artikulation und in virtuosen Stücken für das Variieren einer einzigen Phrase und Idee auf vielfältige Weise unerlässlich. Die exakte Ausführung von Paganinis Artikulationszeichen - die Tonbildung (rechte Bogenhand), Ziehgeschwindigkeit, Kontaktstelle, Gewicht auf die Saite - ist das einzige Weg um bessere Verständnis des für seine Kompositionen so wichtigen Belcanto-Stils. Paganini war in der Tat ein Tonkünstler im höheren Sinne und auf eigene unvergleichliche Art. Was ihn von anderen Geiger unterschied, war der exzessive Gebrauch besonders schwieriger, teilweise ganz neuer Techniken und die damit auf der Bühne erzeugte Aura des Persönlichen und Genialen. Paganinis Spiel wirkte sehr dramatisch und abwechslungsreich. Berühmt war er für rasante Tempi und eine große Bandbreite der Dynamik vom gehauchten Flautando bis zum weittragenden Fortissimo. Außer den für die Violine üblichen Klangfarben erzielte er Schattierungen, in denen er sich Naturklängen annäherte, wie etwa Vogelstimmen, dem Schlag der Nachtigall oder festlichen Glockentönen. 

Das Doppelflageolettspiel über lange Passagen war ein für ihn besonders typischer klanglicher Effekt. Die wichtigsten künstlichen Flageoletts bei Paganini sind die Quint-, Quart- und Terz- Flageoletts. Höchst virtuos beherrschte Paganini die Mischung von Bogenstrich und Pizzicato mit der linken Hand – eine Technik,die er zur Perfektion entwickelte. Des Weiteren ist bei Paganini das Staccato als Ausdrucksmöglichkeit von großer Wichtigkeit. Sein Gebrauch von Staccatozeichen ist sehr exakt. 

C. Guhr meint, "...Paganini alle Staccato-Passagen in der Mitte des Bogens spielte, selten mit der Spitze beginnend, indem er den Bogen auf die Saiten warf und er durch das Ab- und wieder Aufprallen tanzte..." oder dass Paganini "...volle, klare Arpeggien spielte, für deren Ausführung er weniger als die Hälfte seines Bogens verwendete...

Paganini hielt den Bogen eng am Körper und spielte überwiegend auf der oberen Bogenhälfte. Das erklärt auch, warum er beiseinen originalen Bogenstrichen sehr oft Auftakte mit Abstrich und Betonungen mit Aufstrich spielte. Wilhelm Speyer schrieb an Louis Spohr (17. September 1829) „... Das Thema des Adagios begann er jedesmal mit dem Aufstrich, ein Beweis, dass er sich an gewisse eingeführte Usancen nicht kehrt. Ungeachtet seiner vielen zweiunddreißigstel und vierundsechzigstel Verzierungen habe ich in meinem Leben niemand so streng im Takt spielen hören.“

Paganini und das Zeitmaß 

„Der Tact macht die Melodie: folglich ist er die Seele der Musik.“ 
Leopold Mozart, “Versuch einer gründlichen Violinschule” 1756 

Wie wir wissen, wird das Tempo von vielen Faktoren beeinflusst, so z. B. die Akustik des Saales, die Eigenschaften der verwendeten Instrumente und das persönliche Gefühl im Augenblick der Aufführung. Sehr oft bezieht sich die Tempoangabe nicht auf die Geschwindigkeit, sondern viel eher auf die Stimmung, den Charakter und Geist der Musik. Die Wichtigkeit, die Paganini dem strengen Festhalten am Zeitmaß beimisst, kann auch an seinen Tempoangaben festgestellt werden, die ein breites Spektrum von den typischeren Angaben wie Lento, Andante, Moderato umfassen bis hin zu interessanten Tempobezeichnungen wie Posato, Amoroso, Maestoso, Marcato, Agitato, Minuetto alla Spagnola oder alla Marsigliese, Adagio seducemente, Corrente con motteggio. Er war ein Meister des Gebrauchs des sich nur auf die jeweilige Phrase beziehenden tempo rubato. Im Rahmen seiner originellen und höchst einfallsreichen Spielweise war seine Präzision im Tempo ein sehr wichtiges Element der Überraschung und des Affekts. Jedoch erwähnen zeitgenössische Berichte fast ausnahmslos Paganinis strenges Festhalten am Zeitmaß. 

„... Selbst bei den schwierigsten Passagen pfuscht er nicht am Metrum herum... Dem strengst möglichen Ausmaß treu bleibend, weicht er nie ab und tut nichts, um den Wert des Metrums zu stören. Dieses Gesetz, das er gleichsam intuitiv beachtet, ist weit davon entfernt, seinen Schwung zu bremsen, sondern verleiht ihm Gelassenheit und frische Vitalität“. 
(Imbert de Laphaleque, 1830)

„... Er besitzt die größte und deutlichste Ausführung in der Kennzeichnung der unbetonten Zählzeiten des Taktes, im schnellsten Tempo, ohne den Takt zu verändern...“ 
(C. Guhr, 1829) 

Eine Mischung aus teuflischen und humorvollen Zügen, unter dem Banner einer überbordenden und fantasievollen Virtuosität, die in ihrem völlig untypischen Charakter paradoxerweise die barocken Kategorien von Staunen und Ehrfurcht wiederzuerlangen scheint. 

Kuriosität

Paganini entwickelte zwei Spielweisen – die eine für das informelle Musizieren mit Freunden und die andere für öffentliche Auftritte. Er spielte sehr oft und gerne Quartette von Haydn, Mozart und Beethoven. Die Kritiker, die Paganini als „Scharlatan“ bezeichneten, übersahen die Tatsache, dass Paganini die Bedeutung von Beethovens Quartetten anerkannte, während L. Spohr, die Säule der akademischen deutschen Schule, zu den vielen gehörte, die sie nicht in vollem Umfang zu schätzen wussten...

 

Das Laden von YouTube Videos wurde nicht erlaubt. Bitte ändern Sie Ihre Datenschutzeinstellungen.

 

Audio: Paganini: "I Palpiti" 
Bilder:
1. Pietro Locatelli 24 Capricci
2. Paganini Portrait
3. Paganini Caprice 13, downstroke for pickup beats
4. Paganini Tuning the violin
5. Casanatense Library in Rom

 

 ZURÜCK